Psychologie der Agilität

Psychologie der Agilität - InTheBox Consulting
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Psychologie der Agilität

Agilität ist zurzeit in aller Munde. Birigit Werkmann-Karcher und Michael Zirkler haben zu diesem Thema ein Buch geschrieben, welches im August 2020 beim Springer Verlag erschienen ist. Ich hatte die Gelegenheit die beiden in diesem Projekt zu unterstützen und führte für das Buch an verschiedenen Orten Forschungsinterviews durch, um diesem «merkwürdigen Phänomen menschlichen Erlebens und Verhaltens in der Arbeitswelt auf die Spur zu kommen» (Werkmann-Karcher & Zirkler, 2020). Dieser Artikel soll eine kurze Einführung in das Thema geben, und Einblicke in unsere Forschung und in die Publikation bieten.

Der Begriff Agilität ist nicht neu

Was ist mit Agilität überhaupt gemeint? Der Begriff Agilität ist nicht neu. Bereits in den 1950er-Jahren wurde der Begriff in der Systemtheorie von Organisationen genutzt (Parsons, 1954). Das heutige Verständnis der Agilität hat sich verändert. Die verschiedenen Definitionen erfreuen sich aber immer noch einer grossen Breite. Agilität soll eine Möglichkeit sein den heutigen anspruchsvollen VUCA-Bedingungen (volatility, uncertainty, complexity, ambiguity), wie sie in der Arbeitswelt 4.0 vorzufinden sind, zu begegnen. Rose (2018, S.15) stellt eine einfache, aber treffende Definition zur Verfügung:

« [Agile is] the ability to create and respond to change in order to succeed in an uncertain and turbulent environment. Instead of relying on extensive up-front planning, solutions evolve through collaboration between self-organizing, cross functional teams utilising the appropriate practices for their context. »

Doing Agile vs. Being Agile

In der einschlägigen Literatur und auch in der Praxis wird oft unterschieden zwischen «doing agile» und «being agile». Daraus kann man ableiten, dass es so etwas wie eine agile Persönlichkeit (being agile) geben müsste. Begibt man sich in den psychologischen Fachdatenbanken auf die Suche nach der agilen Persönlichkeit, wird man nicht fündig. Im Moment existiert noch keine fundierte und getestete Theorie, was eine Person mitbringen muss, um agil zu sein. In der Praxis wird häufig von einem agilen Mindset gesprochen. Werkmann et al. (2020) zeigen in ihrem Buch mögliche Verbindungen zu bestehenden Konstrukten, wie z.B. zum Modell der Lernagilität (De Rue et al., 2012) oder den Charakterstärken (Seligmann et al., 2004), auf. Aus psychologischer Sicht kann beim agilen Mindset aktuell von einer Mischung aus unterschiedlichen Skills (Werten, Orientierungen, Arbeitsprinzipien, sozialen Kompetenzen) gesprochen werden. Persönlichkeitseigenschaften gehören ebenfalls dazu, determinieren den agilen Mindset aber nicht ausschliesslich (Werkmann-Karcher et al., 2020).

Um als Team oder Organisation agil zu sein, reicht die blosse Anpassung von Prozessen und Organisationsformen nicht aus. Die «Chance» muss gelebt, belebt und energetisiert werden, damit sich neue Denk- und Verhaltensmuster entwickeln und stabilisieren können. Es muss ein Prozess sein der ganzheitlich gedacht wird. Eine reine Top-Down Einführung ohne entsprechenden Rückhalt in der Belegschaft, könnte sich als sehr anspruchsvoll herausstellen. Ein Management muss Mut und Vertrauen haben, um zentralisierte Entscheidungen an die Basis abzugeben. Werden solche Rahmenbedingungen geschaffen, entsteht Raum woraus neuartige Denkprozesse und agile Strukturen entstehen können. Laloux (2016, S.59) illustriert diese Kraft der Agilität auf eine anschauliche Weise:

« There can be hundreds of thousands of birds in a flock, flying at high speeds. And in the blink of an eye, when a predator appears, this whole dense cloud changes direction. How do the birds avoid mass collisions? It’s almost a miracle. Hierarchy and centralized decision- making could never master this level of speed and complexity. Coordination is embedded in three rules that all birds play by. Coordination mechanisms, rather than hierarchy, keep the flock agile and safe. »

Learning Agility als Weg zu «being agile»

Um Individuen oder Teams Lernwege hin zur Agilität zu bereiten, würde die Psychologie klassischerweise eine Standortbestimmung vornehmen, welche mögliche Lernpfade aufzeigen kann. Zum jetzigen Zeitpunkt existiert noch keine empirisch getestete Diagnostik, welche das Konstrukt Agilität zu messen weiss, daher kann dieser Weg aktuell nicht vorgeschlagen werden. Auf individueller Ebene können Lernwege im Bereich der 1. und 2. Ordnung genutzt werden. Während im Bereich der 1. Ordnung (doing agile) bereits Möglichkeiten vorhanden sind (Kanban, Scrum, Coaching), handelt es sich im Bereich des Lernen der 2. Ordnung (being agile) um Verfahren, die zuerst entdeckt, entwickelt und erprobt werden müssen (Werkmann-Karcher et al., 2020). Für Teams und Gruppen kann das Konzept der «learning agility» einen guten Zugang bieten. Es gliedert sich in unterschiedliche Bereiche des Lernens auf: People Agility, Results Agility, Mental Agility und Change Agility (Lombardo & Eichinger, 2000). 

Agilität ist kein Hochleistungssport

Agilität kann sicherlich eine mögliche Antwort auf die anspruchsvollen Bedingungen in der heutigen Arbeitswelt sein. Falsch verstanden kann Agilität aber auch zu einem «Hochleistungssport» werden, welcher zu sozialem und organisationalem Ausschluss führen kann. Es soll nicht dazu da sein, Arbeitnehmende zu verdrängen, die nicht jeden Wandel sofort mitgehen können. Vielmehr soll es auch dazu dienen diese Menschen in der Veränderung zu begleiten und zu unterstützen. An den Schluss möchte ich folgendes Zitat (aus einem Forschungsinterview in einem Unternehmen mit agilen und holakratischen Strukturen) stellen. Es zeigt gut auf, dass Agilität dazu dienen kann unseren Möglichkeitsraum zu erweitern, aber auch Limitationen in der Anwendung gesehen werden sollten:

« Agilität ist eher eine Erweiterung unseres Handlungsfeldes und unsere Tool-Boxen, als der Stein der Weisheit. Häufig wird dann gesagt: Das erschlägt jetzt alles, sei es jetzt die Agilität oder die Holakratie oder was es sonst noch gab in der Vergangenheit, wie Scrum usw. Wir haben so viel Menschheitsgeschichte schon hinter uns, das Wenigste davon ist dokumentiert. Dass wir jetzt gerade den Stein der Weisen finden, der uns alle Probleme löst, glaube ich nicht. Und Adaptivität und Agilität sind was Schönes, was immer auch den nächsten Schritt mit beinhaltet, deswegen ist es sicherlich etwas das weiterführt, ohne für sich proklamieren zu müssen, dass einzig Richtige zu sein. »

Dominik Grolimund

Dominik Grolimund

Dominik Grolimund ist ausgebildeter Informatiker und angehender Psychologe. Er arbeitet an der ZHAW am Psychologischen Institut in der Fachgruppe Organisationsentwicklung und -beratung und engagiert sich als Vorstandmitglied beim Schweizerischer Berufsverband für Angewandte Psychologie (SBAP). Besonders interessiert er sich für die Bereiche Selbstorganisation, Agilität, Beratung und Teamentwicklung.

Psychologie der Agilität – Ein Buch von Michael Zirkler und Birigit Werkmann, unter Mitarbeit von Dominik Grolimund

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Psychologie der Agilität

Der Begriff Agilität ist nicht neu. Und doch spielt er in der Arbeitswelt 4.0 eine gross Rolle. Wir kennen bislang „doing agile“ in Form von Kanban, Scrum oder Coaching, tun uns aber noch schwer mit dem agilen Mindset. Learning Agility kann hier einen guten Zugang zu „being agile“ bieten.

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